1000. Jahrestag der Ankunft des hl. Benediktiners Gerhard in Ungarn

In Zeiten der Ungewissheit lohnt auch politisch ein Blick auf die geistigen Säulen Europas – so etwa auf den Heiligen Benedikt von Nursia (480-547). Darauf hat der emeritierte Prior der ungarischen Abtei Tihany, P. Richard Korzensky, hingewiesen. Korzensky äußerte sich in einer Festschrift der Ungarischen Benediktinerkongregation aus Anlass des 1.000. Jahrestags der Ankunft des Benediktiners St. Gerhard von Venedig in Budapest und des 380. Jahrestag des Ordens-Wiederbeginns nach den Türkenkriegen.

»Der hl. Gerhard war Mönch im venezianischen Kloster San Giorgio und wurde schon in jungen Jahren zum Abt gewählt … In seinen Lebensbeschreibungen tritt uns die Gestalt des hl. Gerhard nacheinander in drei typischen Formen christlichen Lebens entgegen: als Mönch, als Apostel und als Märtyrer. Der Mönch ist ein Mann Gottes, der in Gebet und Arbeit sein Leben ganz Gott widmet; der Apostel ist Verkünder der frohen Heilsbotschaft des Evangeliums, er erzieht den Christen zur Heiligkeit des Lebens und führt den Heiden zum Christentum; der Märtyrer gibt als äußerstes Zeugnis seiner Liebe sich selbst, sein Leben im Gebet und sein apostolisches Wirken völlig Gott hin.« (Schreiben des hl. Papstes Johannes Paul II. an die Kirche in Ungarn zur 1000-Jahr-Feier der Geburt des heiligen Bischofs und Märtyrers Gerhard)

Eine Reliquie des heiligen Gerhard befindet sich im Haus der Begegnung

In seinem Beitrag betonte der Altprior die Bedeutung des Hl. Benedikt und seiner Nachfolger für die kulturelle und religiöse Prägung Europas. Die Benediktregel könne man ohne weiteres als »Handbuch der Europäischen Union« lesen. Es werde heute schließlich viel über Europa gesprochen – »aber weiß man überhaupt, was Europa ist? Ist es ein geographischer Begriff? Ein kulturhistorisches Phänomen? Ein politisches Bündnis? Eine Einheit der Normen?«
Bei Benedikt fänden sich auch die Anfänge der Demokratie: »Geht es um die Wahl des Vorgesetzten, heißt es auch, dass er nicht Alleinbestimmender sein soll, sondern einer, der bei jeder Entscheidung Ratschläge einholen soll. Die Brüder müssen zur Beratung herangezogen werden«, heiße es in der »Regula«. Europäer zu sein bedeute »Übernahme der Verantwortung füreinander, zu unseren Wurzeln stehen, und wissen, wer wir sind«, so Korzensky. Werte, die wieder als heilig zu betrachten sein sollten, seien die »Suche nach Wahrheit, die Würde der Person, der Frieden in der Unterschiedlichkeit und die Achtung der religiösen und weltlichen Gesetze«.
Der Altprior erinnerte weiters daran, dass der Hl. Benedikt in seiner Zeit die Frohe Botschaft verkündet und die Werte der klassischen Antike weitergegeben habe. Abt Gerhard habe die europäische und christliche Kultur schließlich nach Ungarn, an den Hof des ersten König Ungarns, Stephan I., gebracht.

»Was den modernen Menschen besonders interessiert, ist die Methode des missionarischen Wirkens, damit es nicht oberflächlich und äußerlich bleibt, sondern zu echter Bekehrung, also zu innerer geistlicher Umkehr führt, die im Evangelium metànoia heißt. Ein Kapitel der Deliberatio zeugt vom Geist der Missionstätigkeit des hl. Gerhard. Zur Erläuterung des Verses ›Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor‹ (Jes 45, 8) schreibt er: ›Willst du hören, wie sich diese Erde bei tauendem Himmel und Wolkenregen, auftut für den Sproß? … Die Schrift sagt: Tut Buße und ein jeder von euch lasse sich taufen im Namen des Herrn Jesus Christus zur Vergebung eurer Sünden, und nehmt die Gaben des Heiligen Geistes an … So hat sich die Erde aufgetan und sproßte den Heiland hervor, das heißt, sie hat allen Völkern Christus als ihren Erlöser verkündet. Wenn ich Leute, die nichts von Christus wissen lehre, und wenn sie durch das gehörte Wort zur Erkenntnis Gottes gelangen, bringe ich durch das Wort und den Glauben in ihnen Christus hervor … also durch sein Wort und den Glauben wird Christus in denen, die zu ihm kommen, hervorgebracht …‹ (Gerardi Morosense Ecclesiae seu Csanadensis Episcopi Deliberatio supra hymnum trium puerorum, VII, 583ff., ed. G. Silagi, ›Corp. Christ.‹, cont. Mediaevalis 49, Turnholti 1978). Ist das etwa nicht die missionarische Methode die wir auch heute anwenden müssen, wenn wir die Menschen zu Christus hinführen wollen? Zuerst muß Christus in den Seelen geboren werden, damit die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen von innen her wiedergeboren wird. Es besteht in der Tat kein Zweifel, daß die Kirche − wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt − ›Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ist‹ (Lumen gentium, Nr. 8); aber ihre Sendung besteht nicht allein darin, das Heil Christi in Glaube, Hoffnung und Liebe zu leben, sondern auch Mittlerin dieses Heils zu sein und durch Christus ›unter allen die Wahrheit und die Gnade zu verbreiten‹. Der hl. Gerhard hat mit seinem Leben Zeugnis gegeben für den eifrigen Dienst an der Evangelisierung. Er hat nicht versucht, seine eigenen Ideen zu verkündigen, sondern die Frohbotschaft Christi. Er hat auch erfaßt, daß eine geordnete christliche Gemeinde nicht anders entstehen kann als dadurch, daß die Gemeinschaft mit Christus gesucht und das eigene Leben im Dienst an den Brüdern geopfert wird. Die gelebte Gemeinschaft mit Christus und den Brüdern offenbart die wahre Bedeutung der Institution Kirche: zur Gemeinschaft führen durch den Glauben an den einen Gott, der die Liebe ist und der uns nahe ist. Der hl. Gerhard hat seine Kräfte dafür eingesetzt, die Kirche, die eben entstandene Ortskirche, zu organisieren, indem er sie in der Universalgemeinschaft, also in der Kirche Christi, verwurzelte. Diese Einheit, Quelle des Lebens und des Glaubens, ist unerläßliche Voraussetzung für eine fruchtbringende Evangelisierung; und auch wir müssen unser irdisches Vaterland, seine Kultur und seine Werte lieben und ihnen dienen, indem wir immer Gott lieben und ihm dienen.« (Schreiben des hl. Papstes Johannes Paul II. an die Kirche in Ungarn zur 1000-Jahr-Feier der Geburt des heiligen Bischofs und Märtyrers Gerhard)